A Different Man | Kritik (2024)

Berlinale 2024 – Wettbewerb: Aaron Schimberg schenkt seinem Protagonisten eine Wunderheilung und schickt ihn dann auf die Theaterbühne. A Different Man ist ein cinephiler Trip ins Rabbit Hole der Identitätsdiskurse.

Der Body Horror als Heilung: Edward reißt sich sein Gesicht in labbrigen Fetzen vom Schädel, endlich. Die vielen Wucherungen, die deformierten Gesichtszüge, all das, was bislang als Neurofibromatose sein Leben bestimmte, zieht er sich wie eine Maske ab. Die spektakuläre Verwandlung, von Aaron Schimberg mit Cronenberg- wie Superhelden-Filmen im Kopf inszeniert, hat den unauffälligen Menschen nicht als Ausgangspunkt, sondern als Ziel. Edwards neu gewonnene Superkraft ist so etwas wie Normalität.

Inklusive Herzensgüte

Der medizinische Background für die Wunderheilung existiert, aber interessiert A Different Man nicht, ebenso wenig die Gefühlswelt eines Menschen, der sein Leben lang angestarrt wurde und auf einmal die gesellschaftliche Default-Position einnehmen kann: weiß, männlich, im besten Alter. Denn zwar ist Edward eine singuläre Figur in diesem Film, aber zugleich eine Denkfigur, und damit das Denken so richtig in Schwung geraten kann, braucht es mehr als Body Horror, wird der Geschichte einer Verwandlung die Geschichte einer Begegnung zur Seite gestellt.

Auftritt Ingrid, gespielt von Renate Reinsve, die sich als Worst Person in the World[LINK] erst langsam entpuppen wird. Sie zieht in die Wohnung neben Edward ein, noch vor dem medizinischen Eingriff und der Verwandlung, und begegnet ihm mit bemüht inklusiver Herzensgüte, bis zum absurden Verkennen seines markanten Gesichts: „Have I seen you in anything?“, fragt sie naiv, als Edward erzählt, er sei Schauspieler. Gereicht hat es dabei jedoch zu nicht mehr als einem Auftritt in einem Educational Video für Unternehmen mit Angestellten, die aussehen wie Edward. Weil aber Ingrid angehende Theaterautorin ist, scherzt man, sie werde ihn mal in einem ihrer Stücke besetzen, ein Scherz, der zur Grundlage des spektakulären zweiten Teils von A Different Man wird.

Man gerät schnell ins Nacherzählen bei den Volten, die dieser Film dreht, deshalb mal nicht sofort die schon bald eingezogenen Meta-Ebenen hochklettern, sondern bei der Form unter Strom verweilen, bei den ungewöhnlichen Winkeln von Wyatt Garfields Kamera, dem fast cartoonhaften Tempo von Schimbergs Drehbuch, in dem immer stets zwei oder drei Dinge gleichzeitig zu geschehen scheinen, und dem nervösen Score von Umberto Smerilli. Das körnige 16-mm-Material umgarnt den cinephilen Trip, der A Different Man von Beginn an auch ist.

Es lässt sich dieser Film also an seiner Oberfläche genießen, während er ins Rabbit Hole der Identitätsdiskurse hinabsteigt. Wenn nämlich Edward, nachdem er seine unverhoffte Verwandlung gleich in eine erfolgreiche Karriere als Immobilienmakler Guy (nun eindeutig erkennbar: Sebastian Stan) umgemünzt hat, eines Tages Ingrid wiedertrifft, die gerade ein Off-Broadway-Stück namens Edward besetzt und dafür nach Menschen mit Missbildungen im Gesicht sucht – für eine Hauptrolle, die angelehnt ist an jenen Nachbarn, den sie einst kennenlernen durfte und den sie jetzt für tot hält.

Mittendrin in den Casting Politics und den entsprechenden Debatten der letzten Jahre sind wir, als Guy sich den aus medizinischen Gründen hergestellten Prototyp seines alten Gesichts als Maske umschnallt, um Ingrid davon zu überzeugen, dass dies die Rolle seines Lebens ist, auch wenn er selbst nicht an Neurofibromatose leidet. „I was born for this role!“, erklärt der wundersam Geheilte auf der Bühne, sein ehemaliger Körper nur noch in der Erinnerung an die Reaktionen der Welt abrufbar.

Komplikation und Kapitulation

Subtexte drängen sich in solchen Momenten in den Vordergrund: In dieser paradoxen Performance drückt sich einerseits aus, dass es natürlich nicht die Hautfarbe oder die Sexualität per se sind, die jemanden für eine Rolle qualifizieren, aber möglicherweise die gesellschaftliche Erfahrung, die mit dem einen oder dem anderen zusammenhängt. Und andererseits, dass weder der identitäre Fetisch der Authentizität noch der naiv-liberalen Glaube daran, dass doch alle alles spielen dürfen sollten, eine Position ist, die den dahinterliegenden Fragen gerecht werden. Dass Regisseurin Ingrid, die hier immer noch die Zügel in der Hand hält, recht ohne Weiteres von einer Haltung zur anderen wechseln kann, ist eine schöne Pointe.

Mit dem Auftritt von Oswald, gespielt vom britischen Schauspieler und Neurofibromatose-Aktivisten Adam Pearson (bekannt unter anderem aus Jonathan Glazers Under the Skin, aber auch Schimbergs letztem Film Chained for Life, 2018), gerät die Sache dann vollends und großartig aus dem Ruder. Denn der ist nicht nur authentisch geschädigt, sondern auch charmant und selbstbewusst (und wohlhabend!) und macht derart ausgestattet dem armen Edward das Vorhaben streitig, sich selbst in anderer Haut spielen zu dürfen.

Aber hier muss dann kapituliert werden. Auch wenn aus den Twists und Turns, die Schimberg aus dieser neuerlichen Konstellation herausholt (sich spiralförmig in schwindelerregende Höhen aufschwingend und/oder stets im Kreise und um sich selbst drehend), noch viele Assoziationen und Gedanken anstoßen ließen, bleibt als erster Eindruck zunächst ein Gefühl festzuhalten: Lange keinen Film mehr gesehen, der so bestimmt und selbstbewusst gesagt hat: Es ist kompliziert.

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A Different Man | Kritik (2024)

FAQs

What is the Man Enough program about? ›

Man Enough is a movement founded on the belief that by undefining traditional roles and traits of masculinity, men will be able to realize their potential as humans and their capacity for connection.

Where can I listen to the man enough podcast? ›

The Man Enough Podcast | Podcast on Spotify.

Who is the host of the man enough podcast? ›

The weekly series is hosted by filmmaker, actor & author Justin Baldoni, author & journalist Liz Plank, and President of Wayfarer Studios & award winning music producer Jamey Heath.

When can I watch A Different Man? ›

A Different Man is a 2024 American black comedy psychological thriller film written and directed by Aaron Schimberg, starring Sebastian Stan, Renate Reinsve, and Adam Pearson. The film premiered at Sundance on January 21, 2024, and it is scheduled to be released in the United States on September 20, 2024.

What is an example of be man enough? ›

to be brave enough to do something: He was man enough to admit he had made a mistake.

What does man enough mean? ›

Definition of 'man enough to/for'

If you say that a man is man enough to do something, you mean that he has the necessary courage or ability to do it. I told him that he should be man enough to admit he had done wrong. You can search me if you think you're man enough.

How many men listen to podcasts? ›

Podcast Listeners by Gender. The Infinite Dial study shows an even split between men and women who listen to podcasts, with a slightly higher proportion of male listeners. In 2022, 41% of men and 36% of women in the US population listened to a podcast in the last month.

Who are the guys podcast stuff you should know? ›

Stuff You Should Know
Hosted byJosh Clark Charles W. (Wayne) "Chuck" Bryant
GenreSociety & Culture
LanguageEnglish
UpdatesTriweekly
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Who runs the poor mans podcast? ›

Chris Hopper - Podcast Host - Poor Man's Podcast | LinkedIn.

Who is on the Be a Man podcast? ›

On the Be a Man Experience hosts John Fiore (Sopranos - Brotherhood) and The Be a Man guy discuss topics of what it was like to grow up in a different era and what it takes to be a man.

Who are the all in podcast guys? ›

Industry veterans, degenerate gamblers & besties Chamath Palihapitiya, Jason Calacanis, David Sacks & David Friedberg cover all things economic, tech, political, social & poker.

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Hosted Alzo Slade that dives into the epic stories behind the biggest cheats and scandals out there, looking for answers about who they are and why they skirt the rules.

What is the plot of A Different Man? ›

What is a different man rated? ›

What is Sebastian Stan in? ›

He has continued his role as Bucky Barnes/The Winter Soldier in Captain America: Civil War (2016), Black Panther (2018), and Avengers: Infinity War (2018). Other notable projects include Ricki and the Flash (2015), The Martian (2015), The Bronze (2015), and Logan Lucky (2017).

What is the purpose of the Good men Project? ›

The Good Men Project
FormationJune 16, 2009
FounderTom Matlack
TypeOnline platform
PurposeA conversation about the changing roles of men in the 21st century.
Websitegoodmenproject.com

What is the synopsis of Obie is man enough? ›

After Korean American Zechariah-Obadiah "Obie" Chang begins identifying as a boy, he endures transphobic epithets hurled by his coach, abandonment by his two best friends and both physical and verbal assaults in the boys' bathroom.

Is Man Enough a good book? ›

Man Enough will probably challenge most everyone's worldview in some way, shape, or form — regardless of whether you are a paleoconservative traditionalist or a progressive reformist…or anything in-between! I encourage you to take this journey with Justin Baldoni.

What is the synopsis of Man Enough Undefining My masculinity? ›

Through candid anecdotes and introspective reflections, the book challenges traditional notions of manhood, inviting readers to embrace vulnerability, sensitivity, and empathy as essential human qualities. It calls for men to break free from limiting gender roles and redefine masculinity on their own terms.

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